Staffel 2: Produktivität - Potenziale freisetzen

Madeleine Dore Autorin, Interviewerin und Podcasterin

Wege aus der Produktivitätsfalle: Warum wir uns schuldig fühlen, wenn wir nicht alles schaffen

Kennen Sie das? Sie arbeiten von morgens bis abends – und trotzdem haben Sie ein schlechtes Gewissen. Denn eigentlich hatten Sie sich viel mehr vorgenommen. Oder Ihr Tag ist so ganz anders verlaufen ist, als Sie es geplant hatten. Sie wollten so richtig produktiv durchstarten, haben Ihr Bestes gegeben und sind dennoch unzufrieden mit sich. Und denken insgeheim: „Ich hätte mehr tun sollen.“

Tipps für mehr Produktivität gibt es an allen Ecken und Enden. Wenn wir nur alles „richtig“ machten, würden wir uns nicht nur anders fühlen – wir wären ein völlig anderer Mensch. Es liegt anscheinend nur an uns … Klappt dann etwas nicht wie geplant (was im Leben völlig normal ist), ist das ganze Orchester der inneren Kritiker wieder da: Wir haben Schuldgefühle, werden ängstlich und schämen uns vielleicht sogar, weil wir uns für nicht leistungsfähig genug halten.

Natürlich können wir so weitermachen und regelmäßig hart mit uns ins Gericht gehen, wenn wir etwas nicht erledigt haben. Aber ist das überhaupt realistisch? Gehen wir allen Ernstes davon aus, dass unsere Tage wie geplant ohne Störungen verlaufen und jede kleine Abweichung unweigerlich ins Chaos führt? Vielleicht wäre es sinnvoller – und gesünder –, wenn wir einmal unsere Ansprüche an uns selbst überprüfen.

Produktivität und schlechtes Gewissen

Wie und warum wir ein schlechtes Gewissen haben, wenn wir an einem Tag nicht so gut vorangekommen sind, kann viele Gründe haben. Vielleicht erwarten wir einfach zu viel von uns. Oder ein innerer Widerstand hindert uns daran, zur Ruhe zukommen. Oder wir machen uns richtig Stress und vergleichen uns ständig mit anderen – und haben dann das Gefühl, dass wir nicht genug tun oder nicht mithalten können.

Dieses schlechte Gefühl, wenn wir uns nicht produktiv genug fühlen, ist eine Einladung an uns: Wir sollen unsere unbarmherzige Selbstkritik austauschen gegen sinnvolle Selbstreflexion.

Anstatt zu jammern, dass wir unsere To-do-Liste nicht geschafft haben, oder uns selbst dafür zu kritisieren, dass wir „nichts tun“: Warum überlegen wir nicht einmal, ob wir uns womöglich zu viel vorgenommen haben? Und vielleicht sollten wir auch nicht so streng mit uns sein. Denn jeder Tag ist anders. Und das gilt auch für unsere Produktivität. Wäre es nicht klüger, das unvermeidliche Auf und Ab von Energie, Interesse, Zeit und Aufmerksamkeit in unsere Vorstellung von Produktivität mit einzubeziehen?

Seien Sie freundlich – auch zu sich selbst

Wie können wir unserem Produktivitätsstress am besten auf den Grund gehen? Interessanterweise hilft es oft, wenn wir uns näher mit unseren Schuld-, Angst- und Schamgefühlen beschäftigen.

Eines vorweg: Unsere Ängste und Schuldgefühle kommen nicht aus dem Nichts. Ein Großteil ist durch komplexe systemische Rahmenbedingungen bedingt, die dazu führen, dass wir länger arbeiten oder mehrere Jobs unter einen Hut bekommen müssen. Aber wir alle können all dem etwas Positives entgegensetzen: Freundlichkeit. Viele machen sich Sorgen, dass Freundlichkeit zu einer gewissen Selbstgefälligkeit und Selbstzufriedenheit führt. Keine Angst, das wird nicht passieren.

Wenn wir freundlich zu uns selbst und anderen sind, werden wir offen für Neues. Wir experimentieren. Wir probieren etwas aus. Wir haben keine Angst zu scheitern, weil wir etwas tun, das uns wichtig ist. Und das schaffen wir, weil wir einen Weg gefunden haben, flexibel und tolerant zu sein – und unsere Angst nicht so wichtig zu nehmen. Das Erstaunliche daran: Ohne diesen ganzen Druck werden wir plötzlich produktiver.

Erst akzeptieren, dann handeln

Freundlichkeit ist die Voraussetzung für Akzeptanz. Und wenn wir die Dinge so akzeptieren, wie sie nun einmal sind, fühlen wir uns nicht mehr gelähmt, sondern werden handlungsfähig. Denn sobald wir unsere Grenzen akzeptieren, können wir damit umgehen.

Wir können akzeptieren, dass jetzt im Moment wirklich viel los ist. Wir können akzeptieren, dass etwas so lange dauert, wie es dauert. Wir können akzeptieren, dass Manches einfach warten muss. Wir können akzeptieren, dass sich unsere Prioritäten ändern. Wir können akzeptieren, dass einige E-Mails womöglich unbeantwortet bleiben. Wir können akzeptieren, dass wir nicht alles gleichzeitig machen können und dass wir sind, wer wir sind.

Kurz gesagt: Wenn wir wissen, warum wir ein schlechtes Gewissen bekommen, können wir mit Freundlichkeit und Akzeptanz einen Weg aus dieser „Schuldspirale“ finden. Und dann sind wir in der Lage, uns auf die aktuelle Situation einzustellen – statt jeden Tag mit Selbstvorwürfen zu beginnen, weil wir am Vortag nicht alles wie geplant geschafft haben.

Oder wie der amerikanische Philosoph und Schriftsteller Ralph Waldo Emerson schon sagte: „Schließe jeden Tag ab. Komm zu einem Ende. Du hast getan, was du konntest. Bestimmt sind dabei ein paar Fehler passiert. Denk nicht mehr daran – je eher, desto besser. Morgen ist ein neuer Tag. Du sollst ihn so gelassen und zuversichtlich beginnen, dass dich der Nonsens von gestern nicht belasten kann.“