Digitale Transformation

Aus Angst vor der Scheinselbständigkeit: Auftragsakquise wird zum bürokratischen Hindernislauf

Sage Office UK
Hindernislauf Auftragsvergabe: Die Gefahr, als Scheinselbstständiger eingestuft zu werden, macht es Freelancern schwerer, Aufträge zu bekommen. Quelle: Pixelio / lichtkunst

Hindernislauf Auftragsvergabe: Die Gefahr, als Scheinselbstständiger eingestuft zu werden, macht es Freelancern schwerer, Aufträge zu bekommen. Quelle: Pixelio / lichtkunst

[Beitrag von Dr. Andreas Lutz] Wenn Politiker und Selbstständige über den Abbau der Bürokratie reden, meinen sie unterschiedliche Dinge. Politiker denken an den Zeitaufwand der Verwaltung, den sie kürzen wollen. Doch Kürzen heißt beim genauen Hinschauen meist nur: Verlagern. Arbeitsschritte werden auf Antragsteller und Unternehmer verlagert. Bei sich selbst gespart und damit die Wirtschaft weiter belastet.

Dabei bedeutet angesichts der großen Anzahl von Solo-Selbstständigen und Kleinstunternehmen in Deutschland jede Minute Zusatzaufwand zusammengerechnet 30 Jahre Arbeitszeit oder zwei Millionen Euro Verdienstausfall.

Vorstandsvorsitzender Verband der Gründer und Selbstständigen (VGSD) e.V.

Vorstandsvorsitzender Verband der Gründer und Selbstständigen (VGSD) e.V.

Zu einem der schlimmsten Bürokratiemonster und Auftragskiller hat sich das Thema Scheinselbständigkeit entwickelt, mit dem sich dieser Beitrag befasst. Es soll 2015 durch das „Gesetz gegen den Missbrauch von Werkverträgen“ noch einmal verschärft werden. Eigentlich will die Arbeitsministerin damit Selbstständige vor Lohndumping schützen. In der Praxis führt es dazu, dass bisher gut bezahlte Selbstständige, zum Beispiel in der IT, keine Aufträge mehr von Unternehmen erhalten. Der bürokratische Aufwand und die Rechtsunsicherheit beim Beauftragen von Solo-Selbstständigen wurden in den letzten Jahren unkalkulierbar.

Auftraggeber, die der Beauftragung von Scheinselbstständigen überführt werden, müssen Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil für die Sozialversicherung für bis zu vier Jahre rückwirkend bezahlen. Zudem können sie sich wegen Sozialbetrugs strafbar machen.

Entscheidung der Deutschen Rentenversicherung dauert Monate

Abhilfe hat früher das Statusfeststellungsverfahren geschaffen, das die Selbstständigkeit bestätigt – oder eben nicht. Doch kein Rechtsanwalt oder Steuerberater, der die Materie kennt, traut sich heute noch eine Prognose zu geben. Um das Statusfeststellungsverfahrens bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) durchzuführen, müssen Auftragnehmer und Selbstständiger einen siebenseitigen Fragebogen ausfüllen. Sie erhalten weitere 19 Zusatzfragen, die sie unabhängig voneinander beantworten.

Außerdem sind zahlreiche weitere Nachweise zu erbringen. Es dauert Monate bis die Deutsche Rentenversicherung dann ihre Entscheidung trifft. In fast 50% der meist freiwillig initiierten Verfahren lautet der Bescheid „abhängig beschäftigt“. Das führt in aller Regel zur sofortigen Beendigung des Auftragsverhältnisses. Das aufwändige Verfahren ist für jeden einzelnen Auftragnehmer sowie Auftraggeber durchzuführen und muss eigentlich regelmäßig wiederholt werden, denn die Inhalte der Beauftragung und auch die Urteilspraxis der DRV ändern sich im Zeitverlauf.

Viele Aufträge gehen nur über Vermittler

Aufgrund der Unsicherheit raten inzwischen alle Experten von einer Statusfeststellung ab. Unternehmen beauftragen die Selbstständigen nicht mehr direkt, sondern über Vermittler. Auch diese fordern von den Selbstständigen das Ausfüllen jeweils eigener umfangreicher Fragebögen sowie umfangreiche Nachweise ihrer Selbstständigkeit. Damit wird die Akquise zu einem bürokratischen Hindernislauf.

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Oft hilft es nur, sich mit dem Anwalt zusammenzusetzen, um noch an Aufträge zu kommen. Quelle: Sage

Lange Zeit war die Gründung einer GmbH ein sicherer Schutz vor der Scheinselbstständigkeit. Zwar verloren die Freiberufler ihren Status und wurden gewerbesteuerpflichtig. Gleichzeitig unterwarfen sie sich langfristig den sehr viel komplizierteren Buchhaltungs- und Abgrenzungsvorschriften von Kapitalgesellschaften. Andere Aufraggeber untersagen die direkte Kommunikation zwischen Angestellten und den Selbstständigen. Ein Gespräch ist nur noch in Beisein eines „Brückenkopf“-Mitarbeiters möglich. Selbstständige werden außerhalb der Räume des Auftraggebers in Containern untergebracht, mit Nummern statt Namen bezeichnet oder müssen Büros vom Auftraggeber anmieten. Alles in der Hoffnung, sich so vor den Gefahren Scheinselbstständigkeit schützen zu können.

Vor dem Auftrag zum Anwalt

Angesichts unklarer Gesetze und willkürlichen Handelns der Verwaltung ist der Informations- und Beratungsbedarf enorm. Sowohl Auftraggeber als auch –nehmer beauftragen Anwälte, die ihnen helfen, Formulare auszufüllen, möglichst wasserdichte Verträge zu schließen, sich schützende Konstruktionen auszudenken und wenn das alles nicht half: vor Gericht zu prozessieren. Dabei haben alle Beteiligte nur das Ziel, miteinander arbeiten zu dürfen. Die selbstständigen Wissensarbeiter werden in aller Regel sehr gut bezahlt, sorgen für ihr Alter vor und sind vor allem gerne und mit Stolz selbstständig.

Dieses Beispiel zeigt, dass Bürokratie – verstanden als unproduktive, aber von staatlichen Stellen erzwungene Tätigkeiten – nicht nur aus umständlichen Verwaltungsabläufen sondern auch aus Rechtsunsicherheit resultieren. Das „Damoklesschwert Scheinselbstständigkeit“ ist von den Auswirkungen her das zurzeit wohl schlimmste Beispiel von Rechtsunsicherheit in Deutschland. Der VGSD e.V. setzt sich mit einer Vielzahl von Aktivitäten dafür ein, dass diese Rechtsunsicherheit beendet und nicht noch durch weitere Gesetze zusätzlich verschärft wird.