Unternehmensnachfolge

Das Handwerk steht vor spannenden Zukunftsaufgaben – trotz Krisen

Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, Energie-Knappheit – die Abfolge an Krisen trifft das Handwerk besonders hart. Für manche Gewerke nimmt die derzeitige Situation sogar existenzbedrohende Formen an. Vor allem für solche, bei denen schon vor Monaten die Steigerungen bei den Rohstoffpreisen hineinspielte und die nun zusätzlich die Energiekostensteigerungen zu verkraften haben. Hiervon betroffen sind etliche energieintensive Betriebe im Lebensmittelbereich oder bei den Textilreinigern.

Gleichzeitig heißt es, die Augen nach vorne zu richten, denn in den nächsten fünf Jahren steht bei bundesweit 125.000 Handwerksbetrieben ein Generationenwechsel an. Bis 2030 wird diese Zahl sukzessive noch weiter ansteigen. Die sogenannten Babyboomer unter den Unternehmern gehen in den Ruhestand und passende Nachfolger für bestehende Betriebe zu finden, wird nicht einfach sein.

Wie beurteilt der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) die momentane Situation? Und wie sieht die Zukunft des Handwerks aus – welche Probleme, aber auch welche Chancen tun sich für Unternehmensnachfolger auf? Darüber habe ich mit ZDH-Geschäftsführer Dirk Palige gesprochen.

Das Brisante: Durch die Krisen haben auch gesunde Betriebe wirtschaftlich zu kämpfen

Der Verband mit Sitz in Berlin vertritt die Interessen von rund einer Million Handwerksbetrieben in Deutschland und kennt die Nöte der Unternehmer. Angesichts der sich verschärfenden Lage plädiert der ZDH für zielgerichtete Entlastungen für das Handwerk – und das so schnell wie möglich. „Neben den Energiepreisbremsen sind besonders betroffene energieintensive Betriebe auf zusätzliche Härtefallhilfen angewiesen, um Liquiditätsengpässe im Winter und zu Beginn des Jahres zu vermeiden,“ sagt Dirk Palige. Er hebt hervor, dass durch die multiplen Krisen auch gesunde Betriebe mit funktionierenden Geschäftsmodellen in Mitleidenschaft gezogen wurden. Denn die enormen Kostensteigerungen und Lieferengpässe erschweren das Business außerordentlich.

Langfristig sind die Perspektiven für Nachfolger im Handwerk sehr gut

Das Thema Unternehmensnachfolge wird laut dem ZDH-Geschäftsführer künftig durch diese misslichen Umstände jedoch nicht wesentlich beeinträchtigt: „Sicherlich ist die derzeit schwierige Lage ein Unsicherheitsfaktor und setzt vielen Handwerksbetrieben sehr zu. Doch langfristig gesehen, gibt es keinerlei strukturelle Gründe, die das Handwerk als solches bedrohen. Im Gegenteil: Auf lange Sicht betrachtet sind die Perspektiven im Handwerk – auch für Betriebsnachfolgerinnen und -nachfolger – wegen der anstehenden Transformations- und Modernisierungsaufgaben, wie auch der Versorgungsnotwendigkeiten einer immer älter werdenden Bevölkerung, nach wie vor sehr gut.“

Tatsächlich stieg im Jahr 2021 die Anzahl der Betriebs-Übernahmen um 30 Prozent, nachdem sie in den Jahren zuvor gesunken war. Vor allem der Anteil an Frauen, die eigenständig eine Firma führen wollen, nahm stark zu. Hinzu kommt, dass während der zweijährigen Corona-Krise sich viele junge Menschen für eine interne Unternehmensnachfolge entschieden haben.

Diesen Trend bestätigt auch Benjamin Stocksiefen, der als Zimmermeister das familieneigene Unternehmen Holzbau Stocksiefen in vierter Generation führt. In unserem Gespräch vor wenigen Wochen begründete er die Entwicklung zur internen Nachfolge so: „Die Kinder wollen unbedingt die Tradition fortsetzen, weil sie erkennen, dass das familieneigene Unternehmen etwas sehr Wertvolles ist.“ 

Das Bildungsmantra lautet: Abi und Studium sind die Basis für eine berufliche Karriere

Nach wie vor hat das Handwerk in Deutschland ein Imageproblem: Die Leistungen zu teuer, die Ausbildung unattraktiv. Die meisten Jugendlichen wollen an der Uni studieren. Wird die Bedeutung des Handwerks unterschätzt? Dem widerspricht Dirk Palige: „Eine repräsentative Forsa-Umfrage Ende 2021 hat ergeben, dass 87 Prozent der Deutschen dem Handwerk eine große gesellschaftliche Bedeutung zumessen und es für sehr wichtig halten. Dass sich dennoch zu wenige junge Menschen für einen Handwerksberuf entscheiden, hat vor allem mit dem in Deutschland seit Jahrzehnten verfolgten Bildungsmantra zu tun.“ Danach seien angeblich Abi und Studium der Königsweg für beruflichen und gesellschaftlichen Erfolg.

Bei all den Herausforderungen bieten sich auch viele Chancen

Fakt ist, dass neben den genannten Krisen auch der Fachkräftemangel dem Handwerk enorm zusetzt: Rund 77 Prozent der Unternehmer gaben im Juli 2022 bei einer Umfrage von ZDH und Bitkom an, dass sie große Probleme haben, qualifizierte Mitarbeiter zu finden. Knapp zwei Drittel der Betriebe hat überdies Schwierigkeiten, freie Ausbildungsplätze zu besetzen.

Bei all den Herausforderungen, die das Handwerk momentan zu bestehen hat, sieht Dirk Palige jedoch auch große Erfolgsaussichten für jene, die bereit zur Nachfolge sind: „Es stehen 125.000 Betriebsnachfolgen an, das sind 125.000 Chancen darauf, schon in jungen Jahren seine eigene Chefin oder sein eigener Chef zu werden, seine Ideen zu verwirklichen, ein Team zu führen. Wer einen Betrieb übernimmt, der gestaltet Bewährtes neu und bewahrt Ausbildungs- und Arbeitsplätze und wertvolles Know-how. Und spannend sind ganz sicher all die anstehenden Aufgaben in den kommenden Jahren, für die qualifizierte Handwerkerinnen und Handwerker zwingend gebraucht werden.“ Er resümiert: „Die Arbeit wird im Handwerk ganz sicher nicht ausgehen bei all den Zukunftsaufgaben beim Klimaschutz, bei der Energie- und Mobilitätswende, beim Wohnungsbau oder der Versorgung einer immer älteren Bevölkerung.  All diese Transformationsprozesse werden nur mit dem Handwerk als Umsetzer gelingen können.“