In Zukunft Chefin? Unternehmensnachfolge durch Frauen
Lioba Heinzler hat Erfahrung damit: seit über 15 Jahren berät die Mentorin Unternehmer und Unternehmerinnen bei der Nachfolge, auch beim diesjährigen Aktionstag. Im Interview gibt sie Einblick, wie es aktuell um die Situation von Frauen in der Unternehmensnachfolge bestellt ist und inwiefern sich aus ihrer Sicht Frauen und Männer in der Nachfolge unterscheiden.
Unter dem Dach des jährlichen „Nationalen Aktionstags zur Unternehmensnachfolge durch Frauen“ finden seit 2008 eine Vielzahl von (digitalen) Veranstaltungen für Frauen in der Nachfolge statt. Das Ziel: Frauen Mut machen, ihnen die Betriebsübernahme als alternativen Weg in die Selbstständigkeit aufzeigen, sie mit Nachfolge-Experten und Expertinnen vernetzen. Denn bei der Unternehmensnachfolge lassen sich immer noch geschlechterspezifische Nachteile identifizieren. Aufklärung, Information und Sensibilisierung für das Thema kann viel in den Köpfen verändern.
Lioba Heinzler hat Erfahrung damit: seit über 15 Jahren berät die Mentorin Unternehmer und Unternehmerinnen bei der Nachfolge, auch beim diesjährigen Aktionstag. Im Interview gibt sie Einblick, wie es aktuell um die Situation von Frauen in der Unternehmensnachfolge bestellt ist und inwiefern sich aus ihrer Sicht Frauen und Männer in der Nachfolge unterscheiden.
Frau Heinzler, welche Fähigkeiten sollten Frauen als Unternehmensleiterinnen haben?
Es gibt kein Führungs-Gen. Die Fähigkeit, zu führen, ist meiner Meinung nach nicht angeboren, sondern kann von Männern und Frauen gleichermaßen erlernt werden. Dabei muss man kein Alphatier sein – ich kann auch als introvertierter und eher zurückhaltender Mensch gut führen. Das hat unter anderem mit Vertrauen zu tun, mit der eigenen Glaubwürdigkeit und der Diskussions- und Dialogbereitschaft.
Gibt es bestimmte Führungsstile, die Frauen bei der Unternehmensnachfolge tendenziell bevorzugen?
Aus meiner Sicht haben Frauen im Allgemeinen keinen präferierten Führungsstil. Grundsätzlich gilt, der Führungsstil muss immer zum jeweiligen Umfeld und der Situation passen. Die Relevanz von Fachkompetenzen bei der Unternehmensführung wird von Unternehmern dabei oft überschätzt, denn diese können sie mit guten Mitarbeitern einkaufen – die Unternehmensführung selbst lässt sich als Nachfolger oder Nachfolgerin nicht delegieren.
Ich rate Frauen in Führungspositionen, zwischen Selbstführung, Mitarbeiterführung und Unternehmensführung zu unterscheiden. Als selbstständige Unternehmerin haben Sie niemanden, der die Arbeit für Sie priorisiert. Die tägliche Frage ist also: was ist wichtig und bringt mich meinen Zielen näher- und was ist dringend und wird von außen an mich herangetragen? Nur wenn ich mich selbst bewusst und klug führe, kann ich andere gut führen.
Selbstführung ist der zentrale Aspekt, und bedeutet mehr als Selbstmanagement. Dazu gehört, für sich herauszufinden, wie man auf Dauer seine Energie halten kann, ohne auszubrennen, außerdem hilfreiche Routinen und Gewohnheiten, eine Vision und tägliches fokussiertes Arbeiten.
Stellen Sie sich folgendes Bild vor: Selbstführung als eine große Kugel. Auf ihr balanciert jeder Unternehmer mit seinen Herausforderungen, seiner Mitarbeiterführung und auch seiner Unternehmensführung. Diese Punkte sind wichtig, hängen aber von der Fähigkeit ab, sich selbst im Rahmen seiner Position leiten zu können. Dies bewusst lernen, einüben und leben, dafür muss sich ein Unternehmer oder eine Unternehmerin regelmäßig Zeit zur Erarbeitung und Anpassung nehmen.
Was sich in den letzten Jahren unabhängig vom Geschlecht sehr verändert hat, ist die Mitarbeiterführung im Sinne einer Führung auf Distanz. Es wird mehr Vertrauen gewährt, weniger kontrolliert. Arbeitsleistung wird mehr an Zielen gemessen. Aspekte, die von jüngeren Generationen auch eingefordert werden.
Also sehen Sie keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern, sondern den Generationen?
Es gibt einen anderen, viel größeren Unterschied als den zwischen Mann und Frau – und zwar hinsichtlich des Alters. Besonders wenn man auf die Unternehmensverkäufer und ihre potenziellen Nachfolger schaut. Ich vergleiche da die Generation der 60- bis Mitte 60-Jährigen mit der Generation der Mitte 30-Jährigen. Da sind die Unterschiede auch innerhalb der Geschlechter zum Teil enorm und zeigen sich besonders hinsichtlich der Werte, mit denen sie großgeworden sind und hinsichtlich des Dialogverhaltens.
Allerdings beobachte ich Unterschiede zwischen Männern und Frauen, wenn sie auf akute Stresssituationen reagieren. Ich möchte es so formulieren: Männer reagieren evolutionsgeschichtlich eher mit Flucht oder Konfrontation. Frauen scheinen eher geneigt, Kooperationen oder Kompromisse in Erwägung zu ziehen. Wichtig ist mir dabei, Unterschiede nicht mit Wertigkeiten gleichzusetzen. Stärken können auch Schwächen sein und umgekehrt. Das ist ganz von der jeweiligen Situation abhängig.
Gehen Frauen und Männer Ihrer Erfahrung nach unterschiedlich an die Option einer Unternehmensführung heran?
Mein erster Rat ist, sich einen unabhängigen Coach zu nehmen, mit dem man herausfindet: Passt die Leitung eines Unternehmens in mein Lebenskonzept? Eine solche Entscheidung hängt andererseits natürlich auch von den scheidenden Unternehmensleitern ab. Und das sind heute nun mal fast ausschließlich Männer zwischen 60 und 65 Jahren. Die müssen sich nämlich die Frage stellen, was sie danach machen wollen.
Haben sich angesichts der besonderen Situation durch Corona ihre Erwartungen an die Entwicklung der Nachfolgesituation in Deutschland verändert?
In Bezug auf Frauen in der Unternehmensnachfolge sehe ich hier derzeit eher einen Rückschritt. Denn das ganze Thema Homeschooling und Kinderbetreuung scheint mir doch viel zu sehr an den Frauen hängen zu bleiben. Insgesamt gesehen werden Frauen mit Perspektive auf Unternehmensleitung jedoch mutiger. Sie sind besser ausgebildet und trauen sich auch immer mehr zu. Allerdings spiegelt sich das häufig nicht in ihrer wirtschaftlichen Risikobereitschaft wider. Frauen nehmen im Vergleich zu Männern weniger und geringere Kredite auf und achten mehr auf Sparsamkeit. Das bedeutet nicht, dass sie deswegen erfolgloser agieren als Männer. Aber sie manövrieren sich damit häufig ohne Not in finanzielle Engpässe.
Was für ein Fazit wünschen Sie sich für den Nationalen Aktionstag 2020?
Ich wünsche mir, dass mehr Frauen die Leitung eines Unternehmens als berufliche Option für sich sehen. Ich habe in meinem Beruf vergleichsweise viel mit Männern zu tun, die gut ausgebildet und klar aufgestellt sind. Sie haben nicht selten gestandene Investoren im Hintergrund und wissen sehr genau, was sie wollen und wohin sie wollen. Sie sind auch bereit, wirtschaftlich mehr Risiken einzugehen. Hier erlebe ich Frauen im Vergleich viel zögerlicher. Doch ich wünsche mir die stärkste Wandlung bei den Unternehmern, die die Unternehmensleitung abgeben könnten und absehbar auch müssten.
Unternehmensleiter dieser Generation sehen sich oft in der Blüte ihres Lebens und wollen häufig nicht darüber nachdenken, dass ein Abgang lange und gut vorbereitet sein will. Die Folge: Die Belegschaft altert mit, es werden möglicherweise Entwicklungen verschlafen, wie die Digitalisierung. Prozesse und Abläufe passen nicht mehr. Nach meinen Erfahrungen lässt die Investitionsbereitschaft der Unternehmer mit zunehmendem Alter deutlich nach. Das Unternehmen wird dadurch weniger attraktiv für potenzielle Nachfolger. In meiner Arbeit bekomme ich das immer wieder gespiegelt. Und das ist aus meiner Sicht eine der größten Herausforderungen bei der Unternehmensnachfolge in Deutschland. Wie beim Thema Führungsstile sehe ich aber auch hier Chancen auf Veränderungen dadurch, dass die Faktoren für ein attraktives, verkaufsfähiges Unternehmen von den nachfolgenden Generationen mit mehr Nachdruck betrieben und eingefordert werden.
Vielen Dank für das Gespräch!
Tipp zur Unternehmensnachfolge durch Frauen:
Unsere Experten und Expertinnen diskutieren zum Thema „Unternehmensnachfolge ist auch weiblich – Sie müssen sich nur trauen“. Gäste: Moderatorin Chérine De Bruijn, Unternehmensnachfolgerin und Next-Generation-Award-Preisträgerin Larissa Zeichhardt, Experte für Startup- und Mittelstandsthemen Dr. Klaus-Heiner Röhl und Dr. Enise Lauterbach, Gründerin des Startups Lemoa Mediim Bereich Medizintechnik.