Mittelstand und Migration: Unternehmensnachfolge ist vielfältig
Unternehmer mit Migrationshintergrund sind vor allem bei Unternehmensgründungen keine Seltenheit. Aber auch beim Thema Unternehmensnachfolge werden sie immer sichtbarer. Lesen Sie hier, warum das so ist und weshalb das gut ist.
Rund ein Viertel der Menschen in Deutschland haben einen Migrationshintergrund. Das heißt, sie haben die deutsche Staatsbürgerschaft nicht von Geburt an oder mindestens eines ihrer Elternteile ist zuvor aus dem Ausland nach Deutschland eingewandert. Da ist es nicht verwunderlich, dass Migrantinnen und Migranten auch einen hohen Anteil der Selbständigen ausmachen: Laut Erhebungen der KfW sind sie mit einem Anteil von über 20 Prozent überdurchschnittlich gründungsaktiv. Trifft das nur im Bereich der Neugründungen zu oder ist auch die Unternehmensnachfolge so international? Welche Rückschlüsse und welche Chancen ergeben sich daraus für den deutschen Mittelstand?
Migrationshintergrund in der Gründerszene
Im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit stand in letzter Zeit die Mainzer Firma BioNTech, die einen der ersten Impfstoffe gegen das Corona-Virus entwickelte. Die Gründer des erfolgreichen Biotechnologieunternehmens heißen Ugur Şahin und Özlem Türeci und haben beide Eltern, die aus der Türkei nach Deutschland einwanderten. Das Ehepaar bildet definitiv keine Ausnahme: Selbständige mit Migrationshintergrund leisten einen hohen Beitrag zum Gründungsgeschehen hierzulande: Im Startup Monitor 2020 machten sie mehr als 20 Prozent der Gründerinnen und Gründer aus. Sie sind in vielfältigen Branchen von der Gastronomie über den Handel bis hin zur Baubranche tätig. Ein Trend, der aus einer Studie der Bertelsmann Stiftung hervorgeht, fällt auf: Sogenannte „Migrantenunternehmen“ sind Jobmotoren. Während der Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund zwischen den Jahren 2005 und 2014 nur um neun Prozent stieg, wuchs der Beschäftigungseffekt durch selbständige Migrantinnen und Migranten im gleichen Zeitraum um ganze 32 Prozent. Eine Entwicklung, die also langfristig Arbeitsplätze schafft und in der Wirtschaft von erheblichem Nutzen ist.
Was bedeutet das für die Unternehmensnachfolge?
Im Bereich der Neugründungen ist der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund also schon seit vielen Jahren hoch, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Vorteile daraus sind klar erkennbar. Wie sieht es bei der Unternehmensnachfolge aus? Gerade im Mittelstand werden in den nächsten Jahren dringend qualifizierte Kräfte für die Übernahme bestehender Firmen gebraucht, damit diese sich nicht auflösen, sobald die Geschäftsführung sich zur Ruhe setzt. Die Corona-Krise hat die Nachfolgesuche noch weiter erschwert.
Dass so viele Menschen mit Migrationshintergrund den Weg in die Selbständigkeit einschlagen, könnte eine Lösung darstellen: Wer sich eine Existenzgründung zutraut, dürfte auch die Unternehmensnachfolge in Betracht ziehen, die sogar noch zusätzliche Vorteile bietet. Damit wären insgesamt mehr potenzielle Nachfolgerinnen und Nachfolger vorhanden, die den Fortbestand mittelständischer Unternehmen sichern. Die Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) in Berlin hat daher gezielt das Potenzial von Migrantinnen und Migranten zur Schließung der Nachfolgelücke im deutschen Mittelstand analysiert. Im zugehörigen Forschungsbericht ist unter anderem festgehalten: „Menschen mit Migrationshintergrund könnten ein zusätzliches Potenzial für die Unternehmensnachfolge darstellen“ – zu den entsprechenden Handlungsempfehlungen für Unternehmen zählen das Abbauen von Vorurteilen und Sensibilisieren für Diversität. Die 2019 veröffentlichte Studie „Unternehmensnachfolge in Deutschland“ kommt zu ähnlichen Ergebnissen und hält dazu fest: Die Zahl der Nachfolgerinnen und Nachfolger mit Migrationshintergrund kann nur steigen, wenn wir „interkulturelle Ressourcen als unternehmerische Chancen für bestehende Betriebe“ verstehen. Ob der Mittelstand dieses Potenzial für die Nachfolgeregelung ausschöpfen kann oder nicht, ist nicht zuletzt also auch eine Frage der Unternehmenskultur.
Migration in der Nachfolge muss bekannter werden
Tatsächlich machen aber bereits vereinzelte Erfolgsgeschichten Mut: Unternehmer Azem Ceka zum Beispiel, der vor über 20 Jahren aus Jugoslawien nach Deutschland floh, hat 2013 in Hamburg die Lackiererei-Werkstatt seines ehemaligen Chefs übernommen. Dem Existenzgründungsportal des BMWi gegenüber erzählt er, wie die bereits ausgestattete Werkstatt samt bestehender Kundschaft und der Zugriff auf das Know-how seines Vorgängers, entscheidende Vorteile waren, die ihm gerade als Migrant beim Einstieg ins Unternehmertum halfen.
Auch der Bauunternehmer und renommierte Professor Recep Keskin ist den Weg der Unternehmensnachfolge gegangen. Der gebürtige Türke arbeitete sich in der deutschen Baubranche schnell hoch, seine Expertise überzeugte schließlich den Inhaber einer mittelständischen Traditionsfirma im Ruhrgebiet: Ende der 80er-Jahre trat er die Nachfolge im Betonfertigteilwerk Mark GmbH an. Im Handelsblatt lässt sich seine Aufstiegsgeschichte nachlesen. Der Mittelstand braucht mehr dieser Geschichten – und sie sollten auch bekannter werden.
Ein chancenreicher Ausblick
Im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung und Globalisierung lässt sich nicht nur hoffen, sondern ist es auch wahrscheinlich, dass der Anteil und die Relevanz von Menschen mit Migrationshintergrund in der deutschen Gründer- und Nachfolgeszene steigen werden. Darin liegen zahlreiche Chancen: Unsere Unternehmerlandschaft wird dadurch vielfältiger, internationaler und noch spannender. Denn mehr Diversität im Mittelstand bedeutet mehr Perspektiven, neue Sichtweisen, Innovationskraft und Agilität. Unsere Arbeitswelt ist zunehmend schnelllebig, komplex und vielseitig: Neue Anstöße und zukunftsträchtige Innovationen entstehen aber nur, wenn frische Blickwinkel hinzukommen und nicht stets das Gleiche dem Gleichen folgt.
Was die Unternehmensnachfolge betrifft, gibt es Grund zur Zuversicht: Möglicherweise findet das Thema hier lediglich verzögert Einzug. Denn je mehr Menschen mit Migrationshintergrund sich zu einer Gründung entscheiden, desto höher wohl auch die Chance, dass in den nächsten Jahren und Jahrzehnten auch vermehrt familieninterne Übernahmen in internationalen Familien stattfinden. Diejenigen, die gerade nach Deutschland kommen oder erst seit kurzem hier sind und sich eine Firma aufbauen, werden diese wahrscheinlich auch irgendwann an ihre Kinder übergeben. Bis dahin gilt: Diversität in der Unternehmenskultur aktiv fördern – und das volle Potenzial im Mittelstand ausschöpfen.
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