Agilität ist kein Selbstzweck – zur Bedeutung eines Modeworts
Agilität ist ein Modewort, das mitunter recht beliebig verwendet wird. Dabei steht dahinter ein klares Konzept, wie Arbeit strukturiert wird. Wir haben Florian A. Glossner, CEO der Agile Process GmbH, danach gefragt.
Agilität ist für Unternehmen heute wichtiger denn je, weil sich Märkte, Menschen und Produkte immer schneller verändern. Florian A. Glossner, CEO der Agile Process GmbH, berät große Unternehmen bei der agilen Transformation. Wir haben den Experten gefragt, worauf es in der Praxis ankommt – und was passiert, wenn Agilität mehr als nur ein Buzzword ist.
Herr Glossner, warum müssen Unternehmen heute überhaupt agil sein?
Einfach, weil sich die Welt immer schneller verändert. Agilität ist nichts anderes als die Fähigkeit, auf Veränderungen schnell reagieren zu können. Da sich Märkte, Anforderungen an Produkte und die Bedürfnisse der Menschen immer schneller verändern, müssen sich Unternehmen darauf einstellen können. Das bedeutet, dass sich etwa Wertschöpfungsketten verändern können müssen – und natürlich auch dahinterliegende Strukturen. Zudem ist es nötig, dass sich auch die Mitarbeiter an sich verändernde Rahmenbedingungen gewöhnen und sich auf neue Tätigkeiten und Abläufe einstellen können. Das ist häufig der Kern von agiler Transformation.
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Wie läuft so eine Beratung für die agile Transformation in der Praxis ab?
Die Frage ist tatsächlich: Wie läuft es im Idealfall und wie in der Wirklichkeit ab? Im Idealfall definiert man eine Transformationsstrategie über konkrete Ziele und damit auch über die präzise Frage nach dem „Warum“. Agilität darf nie ein Selbstzweck sein, sondern es geht immer um ganz handfeste Ziele. Ein Beispiel könnte sein, schneller auf Marktveränderungen reagieren zu wollen. Oder schnellere Produktlebenszyklen abbilden zu können. Damit ginge der erste Schritt der Reorganisation beispielsweise von der Wertschöpfungskette aus.
Anschließend kann man damit beginnen, ausgehend davon Strukturen, Organisationen und Anforderungen zu definieren. Ganz wichtig dabei: Es braucht auch die entsprechenden Systeme, etwa im Bereich der IT. In diesem Zusammenhang ist vor allem die Synchronität der Systeme entscheidend. Auch die bisherigen Abläufe und bestehenden Hierarchien gehören dabei auf den Prüfstand. Schnelle Reaktionszeiten im Support klingen gut, werden aber schwierig, wenn für jede Entscheidung erst sieben Leute gefragt werden müssen.
Was empfehlen Sie zum Start – erstmal eine Strategie definieren?
Die Strategie ist immer nur Mittel zum Zweck, es geht erstmal um die Ziele. Warum will ein Unternehmen agil werden? Was erhofft es sich davon? Dann geht es daran, den Weg bzw. die Strategie auszuarbeiten, wie diese Ziele erreicht werden sollen.
Sie erwähnten die Wichtigkeit von Tools. Wie helfen Sie ihren Kunden, damit zu arbeiten?
Bei der Arbeit mit unseren Kunden geht es vor allem um die strukturelle und systemische Umsetzung. Zentral ist dabei die Frage: Wie müssen die Unternehmensstrukturen und IT-Systeme gestaltet sein, damit die gesteckten Ziele erreichbar werden. Gleichzeitig verankern wir neue Methodiken in der Organisation, wie zum Beispiel Scrum. Wir leisten also nicht nur konzeptionelle Arbeit, sondern stellen auch sicher, dass die Methoden, für die wir uns im konkreten Fall entschieden haben, nach Einführung in der Praxis auch funktionieren. Allerdings gilt es auch zu beachten: Es dauert immer, bis sich etwas Neues eingespielt hat. In diesen Veränderungsphasen haben wir unterschiedliche Angebote für unterschiedliche Bereichen der Unternehmen, die den Kunden helfen.
Welche Vorteile bringt Scrum in der Praxis?
Der Vorteil bei diesem Ansatz ist, dass er alle relevanten Abteilungen und Bereiche, die für die Ausgestaltung/ Entwicklung eines Produktes verantwortlich sind, zusammenbringt. Das Thema Softwareentwicklung eignet sich sehr gut, um diesen Ansatz zu erklären: Zwei entscheidende Instanzen in diesem Zusammenhang sind unter anderem die Entwickler selbst, aber etwa auch die Produktverantwortlichen. Scrum bringt im Idealfall beide Parteien an einem Tisch. Grundsatz- und Detailfragen beispielsweise nach der grafischen Gestaltung und der Ergonomie einer Software können so im direkten Dialog beantwortet werden. Dabei holt Scrum die Verantwortlichen gleichsam aus ihren jeweiligen Büros heraus und versammelt sie im gemeinsamen Konferenzraum.
Früher dagegen sahen Entwicklungs-Workflows in etwa so aus: Produktverantwortlicher schickt Anforderungsdokument an Entwickler, Entwickler leitetet fertiggestellte Systemkomponenten an das Produktverantwortlichen mit Bitte um Feedback weiter und dieser sandte das Feedback nach Prüfung wieder an die Entwicklungskollegen mit Bitte um Überarbeitung zurück. Die Folge waren und sind häufig zahlreiche und zeitraubende Abstimmungsschleifen. Dieses klassische Modell passt nicht mehr zu dem Tempo, das heute gefragt ist. Workflows zu verändern, sie agiler, flexibler, wendiger und schneller zu machen ist insofern ein ganz wesentlicher Teil unserer Arbeit.
Auf welche Hindernisse stoßen Sie oft?
Wir arbeiten hauptsächlich für große Unternehmen. Die Menschen, die dort arbeiten, machen dies oft schon recht lange. Umgewöhnungen im Arbeitsprozess und bei der Software sind nicht einfach. Wenn dann auch noch die Erwartungshaltung besteht, dass die Mitarbeiter zusätzlich neue Rollen und Aufgaben ausfüllen sollen, wird es sehr viel. Früher gehörte es beispielsweise nicht zum Stellenprofil eines Entwicklers, den Endnutzer zu verstehen und dementsprechend auch Expertise in Sachen User Experience zu haben. Wenn nun aber Entwickler und Produktverantwortlicher enger zusammenarbeiten, werden solche Fragen aber sehr relevant. Das zeigt: Agile Transformationsprozesse gehen mit großen Veränderungen in den Abläufen und den jeweiligen Aufgaben einher. Zusätzlich bringt die Einführung von neuen Tools technische Herausforderungen mit sich. Die entscheidende Herausforderung aber ist, die Menschen so mitzunehmen, dass sie sich mit neuen Tools, neuen Abläufen und in neuen Rollen zurechtfinden. Deswegen dauern Projekte in unserer Branche tendenziell auch Jahre.
Sichert Agilität am Ende das Überleben des Unternehmens?
Solange Unternehmen profitabel arbeiten, ist der Grund, sich zu verändern oft noch nicht da. Wenn dann allerdings akuter Handlungsbedarf besteht und ein Betrieb hinsichtlich seiner Prozesse nicht agil aufgestellt ist, ist die Gefahr groß, dass überlebensnotwendige Veränderungen nicht mehr rechtzeitig umgesetzt werden können. Agilität hat insofern also den Vorteil, dass sich Unternehmen viel schneller auf Veränderungen einstellen können. Keiner weiß genau, wie der Markt in fünf Jahren aussieht. Aber Corona hat gezeigt, wie wichtig eine gewisse Flexibilität und Veränderungsfähigkeit in Organisationen ist. Da helfen agile Methoden natürlich enorm.
Fazit: Agilität ist Zukunftsthema für Unternehmen jeder Größe
Auch wenn die im Interview geschilderten Beispiele vor allem aus der Beratung großer Unternehmen stammen, empfiehlt es sich genauso kleinen und mittleren Unternehmen, agile Methoden zu implementieren, da hier ebenfalls Flexibilität und schnelle Reaktion auf neue Marktbedingungen gefragt sind. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass KMUs bei strategischen Fehlern wesentlich schneller in eine ernsthafte Schieflage geraten können als große Betriebe, gilt dies umso mehr. Für Unternehmen mittlerer Größe ist es deshalb besonders von Bedeutung, dem Wettbewerb einen Schritt voraus zu sein. Dies gilt es auch künftig im globalen Wettbewerb beizubehalten.