Unternehmensnachfolge

Kulturwandel durch Nachfolge am Beispiel der Glasmanufaktur Heiler

Unternehmensnachfolgen bedeuten stets die Chance für Veränderungen. Jüngere Generationen sehen traditionell vieles anders als ihre Eltern. Und Existenzgründer und Unternehmensnachfolger haben heute meist recht klare Vorstellungen davon, wie sie ein Unternehmen führen und wie sie selbst arbeiten und leben wollen.

Unternehmensnachfolgen bedeuten stets die Chance für Veränderungen. Jüngere Generationen sehen traditionell vieles anders als ihre Eltern. Und Existenzgründer und Unternehmensnachfolger haben heute meist recht klare Vorstellungen davon, wie sie ein Unternehmen führen und wie sie selbst arbeiten und leben wollen.

Als Nachfolger stehen Sie vor vielen Entscheidungen: Wie möchte ich mein Unternehmen führen, welche Unternehmenskultur soll es künftig prägen, wie kann ich meine Mitarbeiter einbinden, werde ich die neue Firma zukunftsfähig aufstellen können?

Zusätzlich zu den individuellen Frage- und Problemstellungen kommen auf Unternehmen und Unternehmer wirtschaftliche und gesellschaftliche Herausforderungen wie die Digitalisierung, der demographische Wandel und der Klimawandel zu. Bei einigen Unternehmen hat daher bereits ein Kulturwandel eingesetzt, um auf diese Veränderungen zu reagieren. Oft wird er mit dem Begriff der New Work beschrieben.

New Work ist sehr viel mehr als Homeoffice und flexibles Arbeiten, womit der Begriff oft gleichgesetzt wird. Selbstständigkeit, Freiheit und Teilhabe an der Gemeinschaft sind Werte, die sein Erfinder Frithjof Bergmann ursprünglich mit ihm verband. Sie haben in der Gegenwart an Aktualität gewonnen, weil Unternehmen mit ihnen sowohl bei potenziellen Fachkräften als auch bei der eigenen Belegschaft punkten können.

Fachkräftemangel und nahezu Vollbeschäftigung haben in den letzten Jahren das Verhältnis von Arbeitgebern und Arbeitnehmern nämlich deutlich verändert. Heute gewinnen und halten die Unternehmen die besten Fachkräfte, die ihren Angestellten nicht nur einen entsprechenden Lohn zahlen, sondern die ihnen vertrauen, statt sie zu kontrollieren, die ihnen Mitsprache in unternehmerischen Entscheidungen einräumen und ihre Kreativität und  Identifikation fordern und fördern – ihnen also eine neue Art der Unternehmenskultur bieten.

Unternehmen zukunftsfähig machen

© Alois Heiler GmbH

Solch neue Unternehmenskultur hat Stephan Heiler im Unternehmen seiner Familie initiiert und gemeinsam mit seinen Mitarbeitern entwickelt und umgesetzt.

In der Alois Heiler GmbH im baden-württembergischen Waghäusel, die Glaslösungen für private und gewerbliche Bad- und Wohnwelten entwickelt und vertreibt, arbeitet Heiler schon seit 1997. Vor der Geschäftsübernahme im Jahr 2011 war er vier Jahre lang Marketing- und Vertriebsverantwortlicher.

In dieser Zeit hat er nach eigener Aussage viele Fehler im System entdeckt und gemerkt, dass das bestehende Vertriebssystem von individuellen Zielvereinbarungen, leistungsgerechten Entgelten und einem dreistufigen Gehaltsmodell mit einer Disziplinar-Quote nicht zukunftsfähig ist, weil es die Mitarbeiter nicht dazu motivierte, zum Wohle der ganzen Firma zu denken und zu handeln.

Mitarbeiter bestimmen selbst über Unternehmensgeschicke

Bereits als Marketing- und Vertriebsverantwortlicher schaffte er als erstes das dreistufige Gehaltsmodell ab, Incentivierungen gibt es seit Jahren nicht mehr. Nach der Übernahme des Unternehmens vom Vater hat er gemeinsam mit den Führungskräften einen Veränderungsprozess angestoßen. Ziel: am Ende sollten seine Mitarbeiter zu selbstständig unternehmerisch denkenden Menschen werden, unabhängig von der bisherigen hierarchischen Organisationsstruktur.

Vollständiger Verzicht auf Hierarchien

Heute ist die Weisungsmacht der Führungskräfte abgeschafft und Stephan Heiler als Geschäftsführer und Eigentümer hat sich selbst ebenfalls entmachtet. Alle Entscheidungen werden von den Mitarbeitenden getroffen – er selbst, zwar formell noch geschäftsführender Gesellschafter, hat sich keinerlei Veto-Recht vorbehalten.

Seinen Entschluss zum Wechsel in eine Struktur ohne formale Hierarchie hat der Unternehmensnachfolger Anfang 2014 im Rahmen einer zweitägigen Veranstaltung der gesamten Belegschaft mitgeteilt und diese neue Struktur mit ihnen gemeinsam alltagsfähig erarbeitet. Dazu holte er sich externe Unterstützung durch den Unternehmensberater Gebhard Borck, der sich selbst als „Transformations-Katalysator hin zu einer Betriebswirtschaft mit Menschen“ sieht.

Stephan Seiler hatte übrigens für den Fall des Misserfolgs seiner Ideen eine klare Ansage an seine Belegschaft: „Wenn es so sein sollte, dass ihr das gar nicht wollt, weil ihr mich für weltfremd haltet, dann sagt mir das. Dann suche ich euch einen neuen Geschäftsführer.“

So gelingt der Kulturwandel: Vertrauen, Transparenz und Mitbestimmung

Einige der Punkte, die den Kulturwandel in Richtung New Work bei Heiler Glas prägten, werden im Folgenden kurz beschrieben, weil sie über den Einzelfall hinausweisen. Wenn Sie als Nachfolger ähnliche Veränderungen in Ihrem Unternehmen planen, werden Sie mit Sicherheit auf diese Punkte stoßen, denn von ihnen hängen Erfolg oder Misserfolg eines solchen Kulturwandels ab.

Vertrauen

Vertrauen ist einer der Schlüsselbegriffe für den kulturellen Wandel in Unternehmen, denn ohne Vertrauen gelingen solch tiefgreifende Veränderungen nicht.

Für Stephan Heiler steht fest: „Ohne Vertrauen scheitert ja schon die Idee.“ Für ihn war das Thema Vertrauen eine „Riesenmotivation“ und er war sich „total sicher, dass Mitarbeiter, die Vertrauen geschenkt bekommen, das zu schätzen wissen.“

Transparenz

Transparenz ist eine weitere Voraussetzung für den kulturellen Wandel, ohne die Mitarbeiter nicht zu „selbständig unternehmerisch denkenden Menschen“ werden können. Wenn Mitarbeiter keinen Überblick über das Standing der Firma haben und selbst untereinander keine Transparenz herrscht, werden sie kaum Kompetenz und Identifikation entwickeln.

Der Markt, so Stephan Heiler, „fordert aber kompetente Antworten von kompetenten Mitarbeitern, die den gesamten Prozess überblicken. Genau das erwartet der Kunde nämlich. Einen zuverlässigen Ansprechpartner, der nicht nur Auskunft geben, sondern auch verbindliche Zusagen machen kann.“

Vollständige Transparenz galt gleichermaßen für die Entwicklung und Umsetzung der neuen Unternehmensstrukturen durch die gesamte Belegschaft.

Macht abgeben und Hierarchien abbauen

In einer immer komplexer werdenden Wirtschaftswelt merken immer mehr Unternehmer, dass sie zu besseren Lösungen kommen, wenn nicht nur die einzelne Führungskraft mitdenkt, sondern sich viele Mitarbeiter beteiligen, möglichst alle. Es ist das „Prinzip der Weisheit der Vielen“, das mit hoher Wahrscheinlichkeit zu besseren Lösungen führt. Wenn Mitarbeiter, statt auf Ansagen von Oben zu warten, sich aktiv mit den Problemen beschäftigen, kommen sie in der Folge ebenfalls besser ins Handeln.

Doch bevor sich der einzelne Mitarbeiter aktiver ins Gesamtunternehmen einbringen kann, müssen die Führungskräfte Macht abgeben. Stephan Heiler wollte genau das: „keine Hierarchie, keine Ansagen mehr von oben. Sondern intensive Mitarbeit aller Mitarbeiter an strategischen Themen.“

Dieses Vorhaben war jedoch auch mit Verlusten verbunden: „Das Ende vom Lied war aber, dass von den sieben Führungskräften fünf relativ schnell gesagt haben: ‚Ich verliere Macht, darum gehe ich lieber woanders hin.‘“

Mitbestimmung, Verantwortung und Identifikation

Am Ende hat es bei Heiler Glas besser funktioniert, als es sich Stephan Heiler selbst vorher vorgestellt hatte. Alle Mitarbeiter haben den Entschluss zum Wechsel in eine Struktur ohne formale Hierarchie gemeinsam getragen und umgesetzt und entscheiden seitdem über die weitere Gestaltung und Entwicklung des Unternehmens. Die frühere Fluktuation der Beschäftigten ist vorbei und die Identifikation mit der Firma und den neuen Arbeitsweisen hoch. Viele können sich inzwischen eine Arbeit in „alten Strukturen“ kaum noch vorstellen.

Stephan Heiler selbst ist davon überzeugt, dass wenn man die Belegschaft „ins Mitdenken und Handeln bringt, dann verspürt man eine ganz andere Dynamik, als wenn Mitarbeiter das umsetzen, was Führungskräfte sich ausgedacht haben.“

Heiler weiter: „Die geballte Verantwortung, die ehemals bei mir als Chef lag, wanderte ins gesamte Team. Wir erarbeiten uns alle gemeinsam strategische Entscheidungen. Jeder trägt Verantwortung – als einzelner Mitarbeiter im Tagesgeschäft, als Team-Mitglied für die Team-Performance und schlussendlich natürlich auch jeder für den allgemeinen Unternehmenserfolg.“

Empfehlung: Wenn Sie die Unternehmenstransformation der Alois Heiler GmbH interessiert, dürfte Ihnen auch unsere Podcast-Folge 8: „Es geht auch ohne – wie die Alois Heiler GmbH ohne Führungskräfte funktioniert“ gefallen. Hier haben wir Stephan Heiler zum Interview getroffen und mit ihm über die spannende Entwicklung seiner Firma gesprochen. Die Folge erscheint am 19.04.2020.

 

Alle Zitate von Stephan Heiler entstammen einem Interview mit ihm auf kulturwandel.org bzw. dem Unternehmensblog der Firma