Die Zeugnissprache wird von Mitarbeitern, die aus einem Unternehmen ausscheiden, als vermeintliche Geheimsprache gefürchtet. Angeblich verstecken Arbeitgeber hinter bestimmten Formulierungen, die zunächst positiv klingen, ungünstige Beurteilungen. Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Dass sich so etwas wie eine Zeugnissprache überhaupt entwickeln konnte, liegt in der Gesetzeslage begründet. Jeder Arbeitgeber ist einerseits zur Wahrheit und andererseits zu einer wohlwollenden Beurteilung verpflichtet. Mitarbeiter haben einen juristischen Anspruch auf ein gutes Arbeitszeugnis, das ihren weiteren beruflichen Werdegang nicht behindert. In der Zeugnissprache muss somit beiden Aspekten Rechnung getragen werden: angemessene Bewertung und trotzdem positive Formulierungen, wenn die Bewertung einmal nicht so günstig für den Arbeitnehmer ausfällt.
Verbote und Gebote der Zeugnissprache
Die Zeugnissprache ist auch für Arbeitgeber eine Herausforderung. Grundsätzlich ist die Zeugnissprache sehr eingeschränkt, weil bereits zahlreiche Fakten und inhaltliche Punkte keine Erwähnung finden dürfen. Dazu gehören Angaben über private Angelegenheiten, angefangen von politischen Aktivitäten in Gewerkschaften oder Parteien über die Religionszugehörigkeit bis hin zu gesundheitlichen Problemen oder familiären Situationen. Wenn der ehemalige Arbeitgeber mittels sprachlicher Finesse trotzdem versucht, gewisse Themen im Arbeitszeugnis zur Sprache zu bringen, muss er damit rechnen, dass die Angelegenheit bei einem Rechtsanwalt für Arbeitsrecht landet. Dieses Risiko, in solche zeitraubenden und mitunter kostspieligen Auseinandersetzungen verwickelt zu werden, lohnt sich in den meisten Fällen nicht.
Tipp:
Vereinfachen Sie den Mitarbeiterlebenszyklus mit HR Software
Die Kunst der Zeugnissprache noch weiter verfeinern?
Juristen sind darauf sensibilisiert, im Rahmen einer Zeugnisanalyse selbst besonders raffinierte sprachliche „Tarnkappen“ zu entlarven. Wenn zum Beispiel das besondere Engagement eines Mitarbeiters in Fragen der Gerechtigkeit hervorgehoben wird, würden Juristen das als Versuch werten, in verklausulierter Form die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft anzudeuten. Vor dem Arbeitsrecht gelten auch Formulierungen und Aussagen als verdächtig, bei denen eher unbedeutende Selbstverständlichkeiten wie Pünktlichkeit, korrektes Verhalten und soziale Kompetenz in übertriebener Weise gelobt werden. Wer sich in der Kunst versucht, sich mittels subtiler Formulierungen dem Gebot des Wohlwollens zu entziehen, tappt schnell in die Ironie-Falle. Denn Ironie gilt generell als unangemessen und juristisch anfechtbar. Ebenso zu vermeiden ist die Änderung der üblichen Reihenfolge. Positive Anmerkung zum Sozialverhalten, zur Integrität und Loyalität eines Mitarbeiters gehören ans Ende, nicht an den Anfang des Arbeitszeugnisses.
Standards der Zeugnissprache
Den häufigsten Streitpunkt stellen die Standards der Zeugnissprache dar. Das klassische Schulnotensystem von „sehr gut“ bis „mangelhaft“ findet wegen des Positiv-Gebots keine Anwendung. Stattdessen reicht die Skala von „stets zu unserer vollster Zufriedenheit“ bis hin zum bloßen „Bemühen“ des Mitarbeiters, seinen Arbeitgeber zufriedenzustellen. Unternehmen, die sich auf Listen verlassen, in denen von der Note 1 bis 6 jeweils entsprechende Formulierungen für die Zeugnissprache zur Verfügung stehen, müssen davon ausgehen, dass betroffene Mitarbeiter diese ebenfalls kennen. Wer mit einem Mitarbeiter uneingeschränkt und in höchstem Maße zufrieden war, sollte das mit zusätzlich verstärkenden Attributen zum Ausdruck bringen. Um Konflikte zu vermeiden, hilft ansonsten die Regel: lieber eine Zufriedenheits-Stufe wohlwollender als zu streng. Ein Arbeitszeugnis bleibt am Ende eine subjektive Mitarbeiterbeurteilung. Im Zweifelsfall muss bei einem möglichen Prozess vor Gericht der Arbeitgeber den Wahrheitsgehalt einer schlechten Bewertung nachweisen, nicht der ehemalige Mitarbeiter seine guten Leistungen.