Unternehmensnachfolge als Triebfeder für die Digitalisierung
Digitalisierung im Mittelstand: Bei Philipp Wilczek war die Unternehmensnachfolge ausschlaggebend für den Wandel hin zu mehr digitalen Prozessen und Abläufen. Was es dabei zu beachten gilt und was er dabei gelernt hat, erzählt er im Interview.
Philipp Wilczek ist Nachfolger in zweiter Generation in der Firma CTS. Mit seiner Übernahme des Familienunternehmens hat sich einiges verändert – unter anderem stieß Wilczek den Digitalisierungsprozess an: „Wir haben zuvor ein Warenwirtschaftsprogramm gepflegt, das aber nicht richtig mit der Buchhaltung und den anderen Unternehmensprozessen verlinkt war – dementsprechend war die Fehlerquote bei der Datenübertragung sehr hoch und eine Kennzahlenanalyse schwer. Mein Ziel war es, diese Systeme in ein einheitliches ERP-System zu übertragen.“ Ein chirurgischer Eingriff, wie er im Interview erzählt. Dabei kann viel schiefgehen – ein Blick auf seine persönlichen Learnings und Tipps für andere Unternehmensnachfolger lohnt sich.
Nachholbedarf im Mittelstand
Aber zunächst: Was ist eigentlich dran an der oft getroffenen Aussage, Deutschland hinke in der Digitalisierung hinterher? Aktuelle Zahlen aus dem Mittelstand zeigen: viel Wahres. Eine Umfrage der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) ergab: Mehr als die Hälfte der Beschaffungsprozesse in den befragten Unternehmen sind noch nicht digitalisiert. Fast drei Viertel setzen keinerlei künstliche Intelligenz ein, um vorausschauend für das Geschäft handeln zu können. Unter 60 Prozent nutzen ein ERP-System in der Produktentwicklung. Das sind nur einige Beispiele aus der Studie – laut Verfassern zeigt sich hier ein deutliches „Umsetzungsdefizit“ im deutschen Mittelstand. Im Fall von Philipp Wilczek war seine Unternehmensnachfolge die Triebfeder für die Digitalisierung im Unternehmen. Der Nachfolger erzählt, wie dieser Change Prozess in seinem Fall ablief – und was er heute anders machen würde.
Herr Wilczek, wie haben Sie sich und das Team auf den Digitalisierungsprozess vorbereitet?
Die drei Jahre vor der Übernahme habe ich genutzt, um uns auf diesen Prozess vorzubereiten und das Projekt „CTS 2022“ ins Leben gerufen. Ich habe mir ein Organigramm gebaut, mir die damaligen Prozesse genau angeschaut und festgehalten, wie ich sie bis Ende 2022 optimieren will – 100 Prozent digital, ohne Papier. Das war mein Masterplan. Dafür habe ich mir auch unabhängige Berater zu Hilfe geholt. Wir haben gemeinsam die Firma auf der grünen Wiese aufgebaut und uns gefragt: Unabhängig von den Mitarbeitern, dem Gebäude, allen äußeren Faktoren, wie arbeiten wir 2022 im Idealfall? Das war die Blaupause, auf die wir die damaligen Prozesse auflegen und so die größeren und kleineren Baustellen identifizieren konnten. Ich habe dann ab 2019 für die nächsten zwei Jahre eine halbe Million Euro Budget für die Digitalisierung eingeplant. Dort war bereits das ERP-System, Beraterstunden, Personalzeit und auch ein Umsatzeinbruch einkalkuliert. Denn ich war darauf eingestellt, dass wir im Endeffekt weniger Zeit für unsere Kunden und Produkte haben, was natürlich nicht schön ist, aber einfach realistisch. Wir haben uns dann auf die Suche nach einem passenden Anbieter begeben, eine beschränkte Ausschreibung erstellt, Angebote erhalten und Anfang 2019 den Auftrag vergeben. Zum 01.01.2020 ist das System an den Start gegangen.
Viele Unternehmensnachfolger und Geschäftsführer stoßen auf Zweifel oder Gegenwind, wenn sie die Digitalisierung im Unternehmen vorantreiben wollen. Wie sind Sie mit Unsicherheiten und Spannungen innerhalb des Unternehmens und zwischen den Generationen umgegangen?
In unserem Familienunternehmen sind quasi alle Altersklassen von 20 bis 65 vertreten, darunter auch Mitarbeiter, die schon mehr als 10 Jahre in der Firma sind. Die Reaktionen waren entsprechend unterschiedlich. Wir haben aus jedem Bereich einen Vertreter, einen Key-User, ausgewählt, der auch bei dem Entscheidungsprozess und der Auswahl des Anbieters dabei war, damit wir die Interessen aller Abteilungen abdecken. Meinen Prokuristen habe ich zum internen Projektleiter ernannt und ihm einen externen Experten zur Seite gestellt. Ich bin zwar der Motor, aber wollte den Prozess nicht alleine umsetzen – denn dann wäre auch das Wissen nur bei mir und die Prozesse zu sehr auf mich geschlüsselt. Als es dann losging, waren dann aber viele der Key-User erschrocken, wie viel Verantwortung bei ihnen liegt. Denn ich habe ihnen das Ziel für 2022 vorgegeben, aber die zugehörigen Prozesse müssen sie in ihren Abteilungen eigenverantwortlich strukturieren, abstimmen und umsetzen.
Der Systemberater hatte mir dazu geraten, dieser Schritt fiel mir nicht leicht. Am Anfang ging es dadurch noch sehr langsam voran, weil alle immer noch auf meine Zustimmung oder meinen Einspruch warteten, das waren sie so gewohnt. Ich behalte zwar weiterhin den Überblick, greife aber nur in Ausnahmesituationen und bei Gesprächsbedarf ein. Ein Learning daraus war, dass ich die Belegschaft ein bisschen besser darauf hätte vorbereiten sollen. Ich selbst hatte mich schon seit Jahren mit dem Thema beschäftigt, für mein Team war es ein Sprung ins kalte Wasser. Es war schwierig, da die nötige Geduld mitzubringen, denn im Gegensatz zu meinem Team, das sich erst auf die neue Situation einstellen muss, bin ich im Kopf schon längst damit durch und zum Teil sogar schon fünf Jahre weiter in meinen Visionen für das Unternehmen.
Was würden Sie anderen Nachfolgern mit auf den Weg geben, die ihr Unternehmen digitalisieren wollen?
Grundsätzlich glaube ich: Es gibt viele Ängste, die die Digitalisierung in Unternehmen begleiten – und diese zu überwinden, gelingt nur mit einer offenen Kommunikation. Bei uns gilt das Credo: Jede Frage darf gestellt werden, es wird niemals ein Mitarbeiter wegen einer Frage diskreditiert. Wenn jemand wissen will, was ein Update ist, wird das erklärt. Da ist viel Fingerspitzengefühl gefragt, um auch die verunsicherten oder skeptischen Mitarbeiter mitzunehmen. Ich würde empfehlen, sich schon im Vorweg einen Überblick zu verschaffen, wer einen höheren Informationsbedarf hat, um diejenigen in persönlichen Gesprächen sanft abzuholen. Was außerdem immer gut funktioniert, ist, den Vorteil des Einzelnen herauszuarbeiten – vieles wird durch die digitalen Prozesse einfacher, schneller, verlässlicher. So sieht jeder die Zeitersparnis und die Qualität, die er erreichen kann.
Mit Strategie und Geduld ans gemeinsame Ziel
Am Beispiel von Philipp Wilczek wird deutlich: Die Digitalisierung von Geschäftsprozessen gelingt nur, wenn alle zielgerichtet und motiviert an einem Strang ziehen. Wer seine Mitarbeiter in den Entscheidungsprozess einbezieht, sie mit Geduld abholt und selbst ausprobieren lässt, kann seine Prozesse nachhaltig optimieren. Dabei sollten zu einem gewissen Maß auch Fehler erlaubt und Rückschläge einberechnet sein – denn es handelt sich um einen großen Change Prozess, der mit Zweifeln und Risiken ist. Aber ihn anzustoßen lohnt sich im Hinblick auf eine zunehmend schnelllebige, globalisierte und agile Arbeitswelt.
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