Recht, Steuern und Finanzen

Reverse-Charge-Verfahren: BFH-Urteil und Verlängerung der Übergangsfrist

Ein neues BFH-Urteil und die Verlängerung der Übergangsfrist bis Ende 2025 beeinflussen die Praxis beim Reverse-Charge-Verfahren.

Das Reverse-Charge-Verfahren spielt eine zentrale Rolle in der europäischen Umsatzsteuerpraxis und zielt darauf ab, Steuerbetrug zu verhindern und das Steueraufkommen besser zu sichern.

Zwei aktuelle Entwicklungen beeinflussen die Anwendung des Verfahrens maßgeblich: Zum einen sorgt ein aktuelles Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) für Klarheit über die Verwendung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer. Zum anderen hat die EU-Kommission die Übergangsfrist für das Verfahren erneut verlängert.

Diese Entscheidungen haben natürlich Auswirkungen für die steuerliche Praxis, insbesondere für Buchhaltung, Jahresabschlüsse und Compliance-Strategien in Unternehmen.

Checklisten Jahresabschluss 2024

  • Kostenfreie Checklisten zum abhaken
  • Strukturierter Jahresabschluss
  • Inklusive Vorarbeiten und Vorabkontrollen

Jetzt kostenfreie Checklisten herunterladen

Überblick Jahresabschluss Buchhaltung und gesetzliche Änderungen

Alle wichtigen gesetzlichen Änderungen für das neue Jahr, eine Checkliste und weitere top-aktuelle Artikel zum Jahresabschluss finden Sie auf unserer Überblicksseite Jahresabschluss Buchhaltung.

Was versteht man unter dem Reverse-Charge-Verfahren?

Das Reverse-Charge-Verfahren beschreibt die in § 13b UStG geregelte Umkehr der Steuerschuldnerschaft: Gemäß dieser Regelung muss nicht der Leistungserbringer, sondern der Empfänger – bspw. ein Unternehmen – die Umsatzsteuer an das Finanzamt abführen. Der Leistungserbringer stellt somit eine Netto-Rechnung ohne Umsatzsteuer aus und weist in der Rechnung auf die Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens hin.

Besonders häufig kommt diese Regelung im internationalen Handel und bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen innerhalb der EU zum Einsatz. Auch in bestimmten Branchen, wie dem Bauwesen, wird das Verfahren angewendet.

Bei Kleinunternehmern findet das Reverse-Charge-Verfahren hingegen keine Anwendung, da sie gemäß § 19 UStG keine Umsatzsteuer ausweisen. Sollte ein Kleinunternehmer Leistungen aus dem Ausland erhalten, muss er die Umsatzsteuer aus dem Reverse-Charge-Verfahren an das Finanzamt entrichten – ohne jedoch den Betrag als Vorsteuer abziehen zu können. Dies führt dazu, dass die Steuerlast vollständig beim Kleinunternehmer verbleibt.

Tipp: Erstellen Sie Ihren Jahresabschluss stets korrekt und rechtskonform – Jetzt Jahresabschluss Software kostenfrei testen

Welche Leistungen unter Reverse Charge fallen

Der Übergang der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger kommt ausschließlich im B2B-Bereich zum Einsatz, also bei Leistungen zwischen zwei Unternehmern. Gleichzeitig muss die betreffende Leistung in Deutschland steuerpflichtig sein.

Konkret umfasst dies unter anderem folgende Leistungen:

  • Im Inland steuerpflichtige Werklieferungen oder sonstige Leistungen durch im Ausland ansässige Unternehmer
  • Bezug von Bauleistungen, wie die Herstellung, Instandsetzung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken
  • Reinigungsdienstleistungen für Gebäude und Gebäudeteile
  • Lieferungen bestimmter Materialien, wie Edelmetalle (Gold, Silber, Platin) und Altmetalle
  • Lieferungen von Mobilfunkgeräten, Tablet-Computern und Spielekonsolen

Was ist das Ziel des Reverse-Charge-Verfahrens?

Der primäre Zweck des Reverse-Charge-Verfahrens ist die Bekämpfung von Steuerbetrug, insbesondere bei grenzüberschreitenden Geschäften. Häufig treten hierbei sogenannte Karussellgeschäfte auf, bei denen die geschuldete Umsatzsteuer durch sogenannte Missing Trader nicht abgeführt, die Vorsteuer durch die anderen Unternehmen jedoch geltend gemacht wird. Solche Betrugsarten führen zu erheblichen Schäden in Milliardenhöhe, die mit Reverse Charge verhindert werden sollen.

Das Verfahren bietet zudem mehrere Vorteile für die Beteiligten:

  • Das Finanzamt muss keine Steueransprüche im Ausland vollstrecken.
  • Leistungsempfänger müssen sich nicht an ausländische Finanzbehörden wenden, wodurch Zeit und Kosten für Beratung entfallen. Dank des Vorsteuerabzugs entfällt auch die Vorfinanzierung der Umsatzsteuer.
  • Leistungserbringer sparen sich wiederum Zeit und Aufwand, da sie die Umsatzsteuer nicht abführen müssen.

Pflichtangaben einer Reverse-Charge-Rechnung

Rechnungen, die dem Reverse-Charge-Verfahren unterliegen, müssen – wie jede andere Rechnung auch – spezifische Angaben enthalten. Dazu zählen:

  • Name und Anschrift von Leistungserbringer und -empfänger
  • Steuernummer oder USt-ID des leistenden Unternehmers
  • Fortlaufende Rechnungsnummer
  • Rechnungsdatum
  • Datum der Leistungserbringung bzw. Lieferzeitpunkt
  • Detaillierte Leistungs- bzw. Warenbeschreibung
  • Netto-Betrag
  • Hinweis auf die Umkehrung der Steuerschuldnerschaft

Fehlen diese Angaben, drohen steuerliche Risiken, da der Empfänger möglicherweise die Vorsteuer nicht geltend machen kann. Gleichzeitig muss darauf geachtet werden, dass keine Umsatzsteuer ausgewiesen wird, da sonst der Leistungserbringer die Umsatzsteuer abführen muss.

Aktuelles BFH-Urteil zur Umsatzsteuer-ID

Das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 31. Januar 2024 bringt eine entscheidende Neuerung für die Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens: Eine gültige Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Leistungsempfängers ist keine zwingende Voraussetzung mehr. Stattdessen muss darauf geachtet werden, dass der Empfänger der Leistung als Unternehmer im Sinne von § 2 Abs. 1 UStG gilt. Die Beweislast liegt hierbei beim Leistungserbringer, der entsprechende Unterlagen vorlegen muss, um die Unternehmereigenschaft nachzuweisen.

Der BFH stellte somit fest: Das Reverse-Charge-Verfahren greift auch ohne gültige USt-ID des Leistungsempfängers, solange die Unternehmereigenschaft vorliegt.

Bei innergemeinschaftlichen Lieferungen bleibt jedoch alles beim Alten: Hier ist die Überprüfung einer gültigen USt-ID weiterhin verpflichtend. Diese Regelung ist seit 2020 gesetzlich verankert und dient der Sicherstellung eines korrekten Besteuerungsverfahrens im EU-Binnenmarkt.

Was müssen Unternehmer und Personaler nun tun?

Unternehmer und Personaler sind nun gefordert, ihre internen Prozesse an die neuen Anforderungen anzupassen. Schließlich nehmen sie eine für sich vorteilhafte Regelung in Anspruch. Konkret sollten sie daher:

  • Stammdatenpflege intensivieren: Die Unternehmereigenschaft des Leistungsempfängers muss eindeutig überprüft und dokumentiert werden.
  • Nachweise sicherstellen: Die USt-ID ist ein Indiz, aber keine alleinige Voraussetzung. Zusätzliche Nachweise wie Auszüge aus dem Handelsregister oder Gewerbeanmeldungen können erforderlich sein und sollten daher zusammengetragen werden.
  • Unterschiede beachten: Während das Reverse-Charge-Verfahren ohne gültige USt-ID auskommt, bleibt sie bei innergemeinschaftlichen Lieferungen nach § 6a UStG Pflicht.

Wie wirkt sich das Reverse-Charge-Verfahren auf den Jahresabschluss und die Buchhaltung aus?

Da der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer schuldet, ist eine präzise Dokumentation aller relevanten Geschäftsvorgänge essenziell. In der Buchhaltung muss die Umsatzsteuer nämlich nicht als Zahllast des Leistungserbringers, sondern des Leistungsempfängers erfasst werden.

Die Entscheidung des BFH hat damit direkte Auswirkungen auf die buchhalterische Praxis und den Jahresabschluss:

  • Buchhalterische Klarheit: Die Praxis, die Unternehmereigenschaft allein über die USt-ID zu prüfen, muss überdacht werden. Fehlt ein vollständiger Nachweis, drohen rückwirkend steuerliche Mehrbelastungen.
  • Risikomanagement: Unternehmen müssen sicherstellen, dass die Unternehmereigenschaft korrekt geprüft und dokumentiert ist. Eine fehlerhafte Prüfung kann dazu führen, dass das Finanzamt Steuern nachfordert.
  • Kostenrisiko: Wird die Steuerschuld durch das Finanzamt dem leistenden Unternehmer auferlegt, entstehen unvorhergesehene Steuerzahlungen, was die Liquidität belasten kann.

Erneute Verlängerung der Übergangsfrist für das Reverse-Charge-Verfahren

Darüber hinaus hat die EU-Kommission entschieden, die Übergangsfrist für die Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens bis zum 31. Dezember 2025 zu verlängern. Sie gibt den Mitgliedsstaaten damit die Möglichkeit, die Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens in bestimmten Bereichen, in denen ein hohes Steuerbetrugsrisiko besteht, solange anzuwenden, bis ein endgültiges Mehrwertsteuersystem in Kraft tritt, das Lieferungen nach dem Bestimmungslandprinzip besteuert.

Die ursprüngliche Frist für die Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens lief bis 2015. Diese Frist wurde mehrfach verlängert, zunächst bis 2018, dann bis 2022 und nun bis Ende 2025. Die EU-Kommission plant, bis Ende 2025 ein endgültiges Mehrwertsteuersystem umzusetzen. Sollte dies jedoch erneut nicht realisierbar sein, ist eine weitere Verlängerung wahrscheinlich. Unternehmen sollten die Entwicklungen also weiterhin im Auge behalten, können jedoch bis dahin auf den aktuellen Status quo vertrauen.