Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen
Der Sozialauswahl kommt bei ordentlichen betriebsbedingten Kündigungen eine große Bedeutung zu. Denn der Arbeitgeber hat hier gesetzliche Kriterien nach dem Kündigungsschutzgesetz zu erfüllen. Führt der Arbeitgeber die Sozialauswahl nicht oder fehlerhaft durch, ist die betriebsbedingte Kündigung in vielen Fällen unwirksam. Eine korrekte Durchführung der Sozialauswahl ist daher entscheidend, um sicherzustellen, dass die Interessen der Arbeitnehmer angemessen berücksichtigt und Rechtsstreitigkeiten vermieden werden.
In diesem Artikel erfahren Sie deshalb alles, was sie zur Sozialauswahl wissen müssen.
Übersicht
Was ist eine Sozialauswahl?
Wenn ein Arbeitgeber aufgrund betrieblicher Erfordernisse Arbeitsplätze abbauen und Mitarbeiter kündigen muss, ist er nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) dazu verpflichtet, eine Sozialauswahl vornehmen. Zur Entscheidungsfindung werden dabei verschiedene soziale Faktoren herangezogen, um sicherzustellen, dass seine ordentliche(n) Kündigung(en) auch sozial gerechtfertigt sind.
Die Sozialauswahl zielt darauf ab, diejenigen Arbeitnehmer vor einer Kündigung zu schützen, die aufgrund ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Situation besonders von einer betriebsbedingten Kündigung betroffen wären. Gleichzeitig bringt sie eine gewisse Objektivität, Transparenz und Fairness in den Kündigungsprozess und verhindert, dass Kündigungen willkürlich oder ungerechtfertigt ausgesprochen werden.
Darüber hinaus demonstriert eine korrekte Anwendung einer Sozialauswahl, dass der Arbeitgeber seiner arbeitsrechtlichen Pflicht sowie der sozialen Verantwortung gegenüber seinen Mitarbeitern nachkommt.
Wann muss der Arbeitgeber eine Sozialauswahl vornehmen?
Der Arbeitgeber muss dann eine Sozialauswahl durchführen, wenn er eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung aussprechen möchte und dabei das Kündigungsschutzgesetz beachten muss.
Dies ist dann der Fall, wenn die Mitarbeiter Kündigungsschutz genießen, sprich zum Zeitpunkt der Kündigung länger als sechs Monate dem Betrieb angehören (§ 1 Abs. 1 KSchG) und das Unternehmen mehr als zehn Mitarbeiter beschäftigt (§ 23 Abs. 1 KSchG). Außerdem muss es mehr betroffene Arbeitnehmer geben, als Kündigungen ausgesprochen werden sollen.
Wenn der Arbeitgeber hingegen eine Einzelstelle streicht, für die es im Betrieb keine vergleichbaren Arbeitnehmer gibt, muss er keine Sozialauswahl durchführen. Gleiches gilt bei einer kompletten Betriebsschließung, bei der ein vollständiger Personalabbau vollzogen wird.
Von der Sozialauswahl sind jedoch nicht alle Arbeitnehmer gleich betroffen. Folgende Gruppen werden dabei nicht berücksichtigt:
- Arbeitnehmer, die noch keinen Kündigungsschutz genießen, da diese vorrangig gekündigt werden
- Arbeitnehmer mit Sonderkündigungsschutz, die nicht ordentlich gekündigt werden können (Schwerbehinderte, Betriebsratsmitglieder oder Schwangere)
- Arbeitnehmer, deren Kündigung durch einen Tarifvertrag wirksam ausgeschlossen ist
Wie funktioniert die Sozialauswahl?
Bei der Sozialauswahl hat der Arbeitgeber drei Schritte durchzuführen. Diese sind:
- Zuerst ist zu ermitteln, welche Arbeitnehmer als Adressaten der Kündigung miteinander vergleichbar sind. Diese Gruppe wird auch „Vergleichsgruppe“ genannt. In diese Gruppe sind alle Arbeitnehmer einzubeziehen, die untereinander ausgetauscht werden können. Es sind jedoch nur solche Arbeitsplätze zu betrachten, die auf derselben Stufe der Betriebshierarchie („horizontale Vergleichbarkeit“) liegen.
- Im zweiten Schritt sind anhand der gesetzlichen Vorgaben im Kündigungsschutzgesetz diejenigen Mitarbeiter zu ermitteln, die innerhalb ihrer Vergleichsgruppe am wenigsten schutzbedürftig sind. Dies geschieht mithilfe der gesetzlich festgelegten Kriterien (Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers).
- Im dritten Schritt prüft der Arbeitgeber, ob einzelne Arbeitnehmer unter die Ausnahmeregelung des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG fallen und deshalb von der Sozialauswahl ausgenommen werden können. Dies ist dann der Fall, wenn die Weiterbeschäftigung des Mitarbeiters aufgrund von dessen Kenntnissen, Fähigkeiten und Leistungen in einem besonderen betrieblichen Interesse liegt („Leistungsträger“). Dieses liegt auch dann vor, wenn eine ausgewogene Personalstruktur des Betriebs gewahrt bleiben soll. Im Falle eines Kündigungsschutzprozesses muss der Arbeitgeber dieses Interesse nachweisen können.
Sozialauswahl: Kriterien und Gewichtung
Wenn der Kreis der potenziellen Kündigungskandidaten ermittelt wurde, ist die eigentliche Sozialauswahl anhand der folgenden vier gesetzlich festgelegten Kriterien durchzuführen (§ 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG). Diese betreffen:
- die Betriebszugehörigkeit
- das Lebensalter des Beschäftigten
- Unterhaltspflichten
- eine bestehende Schwerbehinderung des Arbeitnehmers
Da es keine verbindliche Vorgabe zur Gewichtung dieser Kriterien bei der Sozialauswahl gibt, werden sie gesetzlich alle gleich gewichtet. Legen also weder der Tarifvertrag noch eine Betriebsvereinbarung oder interne Richtlinie fest, wie die sozialen Kriterien untereinander zu bewerten sind, hat der Arbeitgeber einen gewissen Ermessensspielraum. Es obliegt somit ihm, wie stark er die einzelnen Kriterien gewichten will. Solange er die sozialen Merkmale ausreichend berücksichtigt, ist seine ausgesprochene Kündigung wirksam und kann nicht angefochten werden.
In der Praxis hat sich bei der Sozialauswahl ein Punktekatalog bewährt, der im Streitfall vom Gericht zu überprüfen ist. Allerdings muss der Arbeitgeber seinen eigenen Punktekatalog aufstellen, da es kein allgemeingültiges Punktesystem gibt.
Dieser könnte wie folgt aussehen, da ähnliche Punktekataloge bereits vom BAG in verschiedenen Urteilen anerkannt wurden:
- Betriebszugehörigkeit: Für die Betriebszugehörigkeit wird bis 10 Dienstjahre pro vollem Beschäftigungsjahr ein Punkt vergeben, ab dem vollen 11. Dienstjahr sind es zwei Punkte. Es sind maximal 70 Punkte möglich.
- Lebensalter: Für das Lebensalter kommt pro vollem Lebensjahr ein Punkt auf das Konto. Es sind maximal 55 Punkte möglich.
- Unterhaltspflichten: Bei unterhaltspflichtigen Kindern werden pro Kind vier Punkte vergeben, für einen unterhaltspflichtigen Ehepartner 8 Punkte.
- Behinderung: Beim Vorliegen einer Behinderung werden bis zu 50 % Erwerbsminderung pauschal 5 Punkte vergeben, danach 1 Punkt je 10 % Erwerbsminderung.
Beispiel: Ein 47-jähriger Arbeitnehmer, der seit zehn Jahren im Betrieb angestellt ist, zwei unterhaltspflichtige Kinder hat und zu 40 Prozent behindert ist, kommt so auf 70 Punkte (10+47+8+5). Diese Punktzahl kann nun mit allen anderen betroffenen Mitarbeitern verglichen werden.
Man kann also sagen, dass je länger ein Mitarbeiter im Betrieb ist, je älter er ist, je mehr unterhaltspflichtige Personen er hat oder je höher sein Grad der Behinderung ist, desto mehr ist diese Person zu schützen.
Welche Arbeitnehmer sind im Rahmen der Sozialauswahl miteinander vergleichbar?
Wenn es darum geht, Arbeitsplätze auf der gleichen Hierarchieebene zu vergleichen, kann ein erster Anhaltspunkt sein, welche Arbeitnehmer sich im Falle von Urlaub oder Krankheit vertreten könnten.
Das bedeutet, dass untereinander austauschbare Arbeitnehmer über arbeitsplatzspezifische Merkmale wie Position, ausgeübte Tätigkeit, übernommen Verantwortung und Qualifikationen identifiziert werden können. Beförderungsstellen oder geringwertigere Stellen werden daher nicht berücksichtigt. Auch eine tarifliche Eingruppierung der Arbeitnehmer kann in diesem Zusammenhang als Merkmal dienen.
Allerdings ist die Vergleichbarkeit nicht auf einen identischen Arbeitsplatz bzw. eine identische Tätigkeit beschränkt. Es reicht bereits aus, dass ein Arbeitnehmer aufgrund seiner Fähigkeiten eine andersartige, jedoch gleichwertige Arbeit ausführen kann. Eine mögliche Einarbeitungszeit ist somit kein Ausschlusskriterium für die Durchführung einer Sozialauswahl.